Wie Glados zu einem Gladiator wurde

Dieser Text ist ein Kommentar auf den Artikel Hirn aus, Spaß an! von Christian GürnthAn dieser Stelle auch einen kleinen Gruß: Chris, du bist der Beste! Des Weiteren ist der Text schon relativ alt, wir wollten ihn euch aber trotzdem nicht vorenthalten.

Der Staub des dreckigen Sandes sinkt langsam zu Boden und bedeckt die blutigen Leichen, welche den Weg des Siegers pflastern. Lediglich zwei Kontrahenten stehen sich noch gegenüber.

Die Schwerter krachen gegeneinander, das Schild wird als Wall vor sich aufgestellt und lautes Gebrüll ertönt. Beide Kämpfer wollen ihre Macht demonstrieren. Adrenalin pocht in den Venen, die Adern treten auf der Stirn hervor und das Blut färbt den Kopf in eine Farbe des Wahnsinns. Ein letztes Mal stürmen beide aufeinander los. Die Kämpfer knallen ineinander, taumeln ein paar Schritte zurück und fallen letzten Endes in den Sand. Sie sehen auf und betrachten das Schlachtfeld. Abgetrennte Köpfe zieren die Umgebung und qualvolles Stöhnen tönt in ihren Ohren.

Ich war fleißig. Langsam stehe ich auf und drücke auf den leuchteten Knopf. Das Bild wird schwarz und die Gladiatoren verschwinden in den Weiten der Kabel und Dioden. „Ich muss gehen.“, sage ich zu meinem Kumpel. Dieser nickt, klopft mir auf die Schulter und meint mit einem kleinen Schmunzeln: „War doch ganz lustig, oder?“

Ich nicke und verabschiede mich, dann verlasse ich das Haus und stehe im Regen.

Das obige Szenario kommt in letzter Zeit immer häufiger in meiner Freizeit vor. Mittlerweile ist es fast schon selbstverständlich, dass ich den Abend mit einem Videospiel ausklingen lasse, bei welchem ich mein Gehirn schonen kann – Spiele, die mich nicht zum Nachdenken auffordern. Es ist angenehm nach einem stressigen Tag für ein paar Stunden abzuschalten und die Zeit an einem vorbeifliegen zu lassen. Vergangen sind die Wochentage, an denen ich meine Stunden mit Glados und unzähligen Portalen verbrachte oder meine Aufmerksamkeit einem Clicker widmete, der mich hinter der nächsten Wand erwarten konnte. Inzwischen bedeuten ausschließlich die Worte Wochenende sowie Ferien, dass ich mich Videospielen widme, welche meine volle Konzentration verlangen – zu wenig Zeit und zu viel Stress sind die Auslöser.

Ich bin Abiturient und habe damals meine Prüfungen an einem beruflichen Gymnasium geschrieben. In der Zeit, in welcher ich auf die Prüfungen hingearbeitet habe, musste ich mich nahezu jeden Abend mit einem Videospiel ablenken und abschalten und dasselbe Bild zeichnet sich auch jetzt auf der Universität ab.

Hier ein paar Sprünge mit Rayman, da ein paar Schüsse auf sich bewegende Pixel und eben auch der eine oder andere abgeschlagene Kopf – es tat gut einmal nicht sein Gehirn benutzen zu müssen.

Ich merke immer mehr, wie meine Vorliebe für Videospielen steigt, welche mit ihrem Sujet keine Kunst darstellen wollen, sondern einfach nur versuchen den Rezipienten zu unterhalten. Selbstredend kann es Spaß machen sich einer spannenden Handlung hinzugeben, neue und innovative Elemente in der Steuerung auszuprobieren und dies auch noch vor dem Hintergrund, dass für jene Dinge der eigene Kopf benutzt werden muss. Allerdings lande ich nach einem Tag voller Termine und nicht vorhandener Zeit, an einem Punkt, an welchem ich sagen muss, dass ich einfach keinen Drang nach Gehirnnahrung verspüre. Ich möchte schnell konsumieren und Spaß dabei haben.

Das Hauptproblem, welches mich jedes Mal ereilt, wenn ich ein „anspruchsvolles“ Videospiel erleben möchte, ist die Zeit.

Es ist ein Begriff, den ich zu definieren nicht im Stande bin. Sie ist allgegenwärtig, begleitet uns durch unser Leben, hält uns jeden Tag den Spiegel der Vergänglichkeit vor. Man könnte sie als den unbeliebten Verwandten bezeichnen, der einen ständig mit Telefonanrufen bombardiert.

Zeit ist eine Investition, die sich lohnt, eine Geschichte deren Ende traurig ist, ein Lied, dass jeder mitsingen kann. Zeit ist alles und nichts. Sie ist einfach da.

Die Frage, welche man nun aus dieser Erkenntnis ableiten muss, ist: Wann ist Zeit vertan und wann ist sie erfüllt?

Verschwende ich sie, wenn ich meine Stunden mit Spielen wie beispielsweise Ryse verbringe oder sind es erfüllte Momente?

Streng genommen ist auch dieses Thema so wie die meisten eine subjektive Angelegenheit. Menschen bilden sich ihre eigene Meinung gegenüber eines bestimmten Sachverhaltes und versuchen diesen oftmals anderen Menschen unter die Nase zu halten, als sei es der einzig wahre.

Selbstredend hat fast jede Ansicht eine Daseinsberechtigung, aber diese verliert ihre Legitimität, wenn ich sie anderen Menschen aufzwingen möchte. Und eben jene Situation ist mir schon des Öfteren untergekommen.

Es ist doch mein privater Sachverhalt, wenn ich nach einem langen Tag Videospiele bevorzuge, die mich unterhalten und bei welchen ich mich nicht alle drei Meter fragen muss, ob der vorangegangene Dialog eine Metapher beinhaltete. Aber sich schweife ab.

Denn obschon es eine subjektive Geschichte ist, muss man eine Sache definitiv anerkennen: Die Zeit kann unglaublich hinterhältig sein.

Tick! Wenn ich morgens aufstehe muss ich erst einmal auf meinen Wecker schauen, um sicherzustellen, dass ich nicht verschlafen habe. Tack! Dann gehe ich duschen und laufe anschließend die Treppe nach unten, um zu frühstücken. Tick! Beim Essen ist die Uhr – neben meiner Zeitschrift – mein ständiger Begleiter. Tack! Sobald der Zeiger am üblichen Platz ist stehe ich auf, räume das Geschirr ab und. Tick! Gut, dann lasse ich das Geschirr eben stehen und. Tack! Renne die Treppe. Tick! Zähne. Tack! Raus. Tick! Bus. Tack! Uni. Tick! Ausruhen. Tack!

Ist diese tägliche Tortur nun erfüllte Zeit oder vertane Zeit? Theoretisch betrachtet ist sie erfüllt, da ich in der Schule etwas lerne. Von der praktischen Komponente aus gesehen ist ein Blick auf eine andere Frage zu werfen: „Was würde ich ansonsten tun?“

Gibt es überhaupt eine Betätigung, welche den Inbegriff der erfüllten Zeit darstellt?

An diesem Punkt ergibt sich ein ganz neues Bild des Videospielers, welcher lieber sein Hirn ausschält und in Mechs gegen Soldaten kämpft, anstatt Portale zu verschießen oder eine gewisse Clementine vor Zombies zu beschützen. Was würden wir denn ansonsten tun?

Wäre es sinnvoll unser Gehirn noch weiter mit Informationen zu füllen, bis es überquillt und wir am nächsten Tag mit Kopfschmerzen durch die Straßen wanken? Wäre es sinnvoll, wenn wir mit der Konzentration einer Eintagsfliege einer Handlung folgen, welche so unglaublich gut ist, dass wir jede nicht wahrgenommene Sekunde bereuen würden? Wäre es sinnvoll, wenn wir unserem Körper anstatt der verdienten Ruhe nur noch mehr Reize um die Ohren hauen?

Ich denke, dass die meisten unter Ihnen mir zustimmen werden, wenn ich einmal mit dem obligatorischen „Natürlich nicht!“ antworte.

Ich hoffe Sie haben nun verstanden, warum Glados mittlerweile zu einem Gladiator wurde und weshalb sie inzwischen mit Schwertern um sich fuchtelt. Die Zeit ist daran schuld. Sie ist etwas, dass ich am liebsten loswerden möchte, aber auf der anderen Seite denke ich dann an all den Spaß, welchen ich verpassen könnte. Ich denke an gigantische Mechs, an Helden ohne Arme und Beine, an tausende Sprünge in Heuwägen und ich denke an abgeschlagene Köpfe, die den Weg des Siegers pflastern. Vor allem denke ich aber an erfüllte Zeit und an das nächste Wochenende – ein bisschen Abwechslung muss schließlich auch sein.


 

Bilder: Crytek (Ryse) und Valve (Portal 2)

FavoriteLoadingZu Favoriten hinzufügen

The following two tabs change content below.
Lukas

Lukas

Filme und Videospiele sind mein Kryptonit.

Lukas

Neueste Artikel von Lukas (alle ansehen)


Tagged: , , ,

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.